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Übungsprinzipien im Tai Chi Chuan

In Tai Chi by Kung Fu München

1. Unterscheidung von „Leere und Gewichtung“

Schon im „Klassiker des Tai Chi Chuan“ ist zu lesen: „Leere und Gewichtung sollen klar unterschieden werden. Jeder Bereich weist in sich wieder Bereiche von Leere und Gewichtung auf.“
So wird des Gewichts des gesamten Körpers immer nur von einem Bein getragen, das fest mit dem Fuß am Boden „klebt“ und somit verwurzelt ist. Natürlich findet in den einzelnen Figuren einer Sequenz ein ständiger Wechsel dieser Gewichtung statt. Das jeweils belastete Bein bleibt unbewegt und entspricht mit seiner Gewichtung der Passivität, Yin. Das unbelastete Bein sollte nur sein Eigengewicht und nicht das Gewicht des Körpers tragen und symbolisiert durch seine grundsätzliche Beweglichkeit die Aktivität, Yang. Während der Verlagerung des Schwerkraftzentrums von einem Bein auf das andere durchläuft dieser Prozess alle Variationen zwischen 100% und 0% Gewichtung. Beide Beine länger gleichzeitig zu belasten, wird als doppelt gewichtig bezeichnet und ist ein gravierender Verstoß gegen die Übungsprinzipien.

„Leere und Gewichtung sollen klar unterschieden werden. Jeder Bereich weist in sich wieder Bereiche von Leere und Gewichtung auf.“
2. „Ruhe und Bewegung“ in den Handtechniken

Im Tai Chi Chuan gibt es keine eigenständige Bewegung der oberen Gliedmaßen. Die Arme folgen immer den entsprechenden Aktionen von Hüften und Beinen. Der Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung soll eine Lockerung der Schulter-, Ellbogen- und Handgelenke bewirken.

Im „Kommentar zum Tai Chi Chuan“ heißt es: „Der Ursprung von Ruhe und Bewegung ist die Mutter von Yin und Yang. In der Bewegung werden sie unterschieden, in der Ruhe vereinen sie sich(…)Yin verlässt nicht Yang, und Yang verlässt nicht Yin, beide ergänzen sich gegenseitig.“ Dieser Lehrsatz ist für ein Verständnis der Jin-Kraft notwendig.

Dieses Phänomen gibt es allerdings nur in der Solo-Übung (der Form), denn sobald die Hände in der Partnerübung ein Gegenüber berühren, kommt es zur Trennung von Leere und Gewichtung: Aktivität wird zur Gewichtung, Passivität wird zur Leere.

Hier liegt also eine Diagonalkorrespondenz vor, wodurch die Jin-Kraft des oberen Bereiches mit der des entsprechenden unteren Bereiches verschmilzt, und zwar über das Tan-tien. Wenn z. B. der linke Arm und das rechte Bein gewichtet sind, so bleiben der rechte Arm und das linke Bein ungewichtet. Doppelgewichtung oder doppelte Leere in den Armen führen zu einer ungünstigen Position.

Der „Kommentar zum Tai Chi Chuan“ führt dazu an: „Ist man doppeltgewichtet, so stagniert man. Oft sieht man Leute für viele Jahre hart üben, die nicht zu neutralisieren vermögen und so selbst kontrolliert werden. Dies beruht auf einem Nichterkennen von Doppelgewichtung.“

„Der Ursprung von Ruhe und Bewegung ist die Mutter von Yin und Yang. In der Bewegung werden sie unterschieden, in der Ruhe vereinen sie sich(…)Yin verlässt nicht Yang, und Yang verlässt nicht Yin, beide ergänzen sich gegenseitig.“
3. Entspannung in den Beingelenken

Die Knie- und Sprunggelenke sind für alle Bewegungen der Beine wichtige Drehpunkte. Daher sollte man diese Gelenke möglichst oft entspannen und lockern. Da im Tai Chi Chuan das gesamte Körpergewicht jeweils von nur einem Bein getragen wird, muss dieses im Knie gebeugt werden, während das bewegliche Bein leicht und locker ohne Kraftaufwand auf dem Boden ruht. Die Kniehöhlung soll also entspannt bleiben, was daran zu erkennen ist, dass in der richtigen Position die Kniescheibe leicht beweglich bleibt.

Ob nun das vordere Bein belastet ist und damit Passivität und Yin symbolisiert, oder ob das hintere Bein das Körpergewicht trägt, immer soll der Fuß des ungewichteten Beines sowohl mit der Ferse als auch mit den Zehen ganz am Boden aufliegen, außer z.B. bei der Bewegung der Kranich breitet seine Flügel aus. Die Mentalen Erklärungen zum Ausführen der 13 Stellungen sprechen von: …einem Streben nach Geradheit in der Beugung, d. h. man streckt das ungewichtete Bein nicht mit Kraft und beugt es auch nicht zu sehr. Die Lockerheit in den Sprunggelenken sorgt dafür, dass die Fußflächen als Wurzeln vollständig den Kontakt zum Boden bewahren.

„…einem Streben nach Geradheit in der Beugung“
4. Gesetztes Handgelenk und Unterarmdrehung

Die Handtechniken des Tai Chi Chuan erfordern ein tiefes, inneres Entspannen der Handgelenke, wobei die Unterarmknochen und Handwurzelknochen annähernd eine Gerade bilden. In allen Figuren der kurzen Form wird diese Haltung beibehalten, außer bei der „Eröffnung“, der „einfachen Peitsche“ und dem Fauststoß. Durch die oben beschriebene Streckung soll eine freie Blut- und Chi-Zirkulation in den Handflächen und Fingern unterstützt werden. Dabei zeigen sich keine angespannten Sehnen an Unterarmen und Händen. Zwischen den Fingern besteht jeweils ein gleichmäßiger Abstand und durch ihre leichte Streckung sucht man auch hier die Geradheit in der Beugung. Optimal ist die Haltung, wenn sie möglichst natürlich ist, (wobei aber keinesfalls ein völliges Erschlaffen gemeint ist) das wird im Tai Chi Chuan als “gesetztes Handgelenk“ bezeichnet. Auf dessen Wichtigkeit bezieht sich der Satz im Klassiker des Tai Chi Chuan: „Die Gestalt zeigt sich in den Fingern.“

Eine weitere Besonderheit betrifft die Drehung der Handflächen: Handfläche, Handgelenke und Unterarme werden immer als Einheit gedreht. Ist das Handgelenk nicht gerade ausgerichtet, so bleibt eine Drehung des Unterarms verkrampft und bringt keinen Vorteil.

„Die Gestalt zeigt sich in den Fingern.“
5. Senken der Schultern und Ellbogen

Entspannte Schultern und der Schwerkraft entsprechend abgesenkte Ellbogen zeigen, dass die Gelenke der Arme korrekt gelockert sind. Im Anfangsstadium der Übung erfolgt dieses Absinken meist willentlich und zeigt wenig Natürlichkeit. Daran erkennt man, dass der Zustand von bloßer Vorstellungskraft ohne Kraftanwendung noch nicht erreicht ist. Die Wechsel in den Handtechniken des Tai Chi Chuan erfolgen durch die Kraft der Vorstellung Yi 意 und nicht durch rohe Muskelkraft Li 力.

Deshalb heißt es im Klassiker des Tai Chi Chuan: „Dies alles ist Vorstellungskraft und liegt nicht im Äußeren.“ Ohne Muskelkraft können Schultern und Ellbogen auch bei erhobenen Händen durch von Vorstellungskraft bewirkte Entspannung natürlich abgesenkt werden.

„Dies alles ist Vorstellungskraft und liegt nicht im Äußeren.“
6. Leicht gewölbte Brust und Vertikalstellung des Beckenbereichs

Die Tai Chi Chuan-Übung verlangt eine leichte Wölbung von Brust und Bauchbereich, so dass das Chi gut in das „Zinnoberfeld“ (Tan-tien 丹田, Schwerkraftzentrum unterhalb des Nabels) abgesenkt werden kann. Dies wird dadurch unterstützt, dass der Rücken aufgerichtet wird. Dazu heißt es in den „Mentalen Erklärungen der 13 Stellungen“:
„Ist der Bauchbereich entspannt, dann sammelt sich das Chi in den Knochen… Bei einem abwechselnden Anspannen und Entspannen soll das Chi am Rücken haften.“

Ein übertriebenes Einziehen der Brust aber führt zu einer Rückenkrümmung und Anspannungt der entsprechenden Muskulatur, was zu vermeiden ist. Beim Aufrichten des Rückens werden die Lendenwirbel senkrecht gestellt; dabei muss auf eine lockere Gesäßmuskulatur geachtet werden. So kann sich das Chi 氣 sammeln, und der Geist kann sich konzentrieren.

Im „Lied von der Form und Funktion der 13 Stellungen“ heißt es:
„Steht das Steißbein aufrecht, so dringt der Geist bis zum Scheitelpunkt durch. Der gesamte Körper ist beweglich, und der Kopf schwebt, wie an einem Faden aufgehängt.“

„Ist der Bauchbereich entspannt, dann sammelt sich das Chi in den Knochen… Bei einem abwechselnden Anspannen und Entspannen soll das Chi am Rücken haften.“
7. Leerer Nacken

Unter einem leeren Nacken wird hier der gesamte Halsbereich verstanden, der soweit wie möglich entspannt sein sollte. Dabei bedient man sich der ursprünglichen Elastizitätskraft der Halsmuskulatur, um eine Neigung des Kopfes nach vorne, hinten oder zur Seite zu verhindern. Das gilt für alle Figuren des Tai Chi Chuan.

Ein natürlich gehaltener Kopf erweckt den Eindruck, als würde er mit seinem Scheitelpunkt an einem Faden hängen. Er ist weder hochgezogen, noch hinuntergedrückt. In der richtigen Haltung wird die Wirbelsäule gestreckt, was zu einer besseren Balance und damit auch zu einem freien Fluss von Blut und Lymphflüssigkeit sowie Nervensignalen im Nackenbereich führt. Damit kann die Reaktionsfähigkeit der Nervenzentren verbessert und die geforderte Flexibilität erreicht werden.

8. Nach innen gerichteter Blick

Wenn der Kopf diese ausbalancierte Haltung einnimmt, werden die Augen automatisch in die Horizontale blicken. Sie sollen dabei einen möglichst weiten Blickwinkel haben und keinesfalls auf einen Punkt fixiert sein. Wie in vielen Meditationstechniken wird auch im Tai Chi Chuan durch entspannte Augenlider und verkleinerte Pupillen versucht, die Sehfähigkeit zu erhalten, und den Geist nicht nach außen fließen zu lassen. Er soll „sich im Inneren sammeln“ und sich nicht durch eine Fixierung der Außenwelt zerstreuen, da das einen Verlust an Reaktionsvermögen bedeuten würde. Nur über einen gesammelten Geist im Inneren kann die tatsächliche Wirkkraft der Körper- und Handtechniken des Tai Chi Chuan erreicht werden, ein Zustand, der sich nur schwer mit Worten beschreiben lässt.

9. Das in das Tan Tien 丹田 abgesenkte Chi 氣

Dieser Technik zur Konzentration des Geistes und zur Ansammlung des Chi wird im Tai Chi Chuan besondere Bedeutung zugemessen. Durch die Vorstellungskraft wird Atemluft nach unten geleitet, bis sich der Magenbereich entspannt und die inneren Organe etwas abgesenkt werden. Dadurch erscheint der Mittelbereich des Unterleibs leicht gewölbt. Physiologisch geschieht dieser Vorgang durch das Absenken des Zwerchfells, dem Magen und Darm nachfolgen.

Im Tai Chi Chuan spricht man davon, dass „das Chi Bewegungen stimulieren soll“. Das ist zwar nicht leicht zu verwirklichen, aber körperlich deutlich wahrnehmbar. Es ist von größter Bedeutung, diese Stimulierung in der Form vom Anfang bis zum Ende beizubehalten. Nach hinreichender Übung wird das „wahre Chi“ aus dem Tan-Tien fließen und den gesamten Körper durchdringen. Die Bewegung gleichen dann dem Bild von treibenden Wolken oder fließendem Wasser.

10. Bogenbewegungen und kreisförmige Bewegungen

Alle Bewegungen des Tai Chi Chuan folgen bogen- oder kreisförmigen Linien bzw. Kreissegmenten. Im „Kommentar zum Tai Chi Chuan“ lesen wir dazu: „Der Körper steht aufrecht wie Ping- und Chun-Instrumente und ist beweglich wie ein Rad.“

Die „Mentalen Erklärungen“ ergänzen:
„Vorstellungskraft und Chi müssen Beweglichkeit erreichen, dann gibt es den Vorteil von runder Aktivität. Das ist es, was der Wechsel zwischen Leere und Gewichtung genannt wird.“

Die Körperbereiche sollen folglich beweglich werden wie Räder, denn erst dann können die Arme den Rumpfbewegungen nachfolgen. Durch die Kreisförmigkeit entsteht eine Flexibilität in den Handtechniken. Die eingeweihten Faustkämpfer vergleichen diese Bewegung von Händen und Rumpf mit einem Komet und seinem Schweif.

„Der Körper steht aufrecht wie Ping- und Chun-Instrumente und ist beweglich wie ein Rad.“
11. Verbundenheit in den Aktionen

Über den viel beschriebenen, jedoch selten verwirklichten Fluss der Bewegungen wird im „Klassiker des Tai-Chi Chuan“ erklärt:
„Es darf kein fehlerhafter Punkt auftreten, kein hervorstehendes Moment entstehen und kein Augenblick einer Unterbrechung auftauchen (…) Man bewegt sich wie ein langer Fluss und das große Meer, die ohne Unterbrechung verbunden sind.“

Beim Verbinden der einzelnen Teilbewegungen sind die Prinzipien der Leichtigkeit, Langsamkeit, Gleichmäßigkeit und aufrechten Haltung zu beachten. Ohne Leichtigkeit gibt es keinen kreisförmigen Zusammenhang, ohne Langsamkeit keine runden Körperdrehungen und keine Entspannung, ohne Gleichmäßigkeit keine zusammenhängenden Bewegungen und ohne aufrechte Haltung keine fließenden Figuren. Oben und Unten sollen einander nachfolgen, Innen und Außen einander ergänzen, so bleibt die Verbundenheit ohne Unterbrechung erhalten.

„Es darf kein fehlerhafter Punkt auftreten, kein hervorstehendes Moment entstehen und kein Augenblick einer Unterbrechung auftauchen (…) Man bewegt sich wie ein langer Fluss und das große Meer, die ohne Unterbrechung verbunden sind.“
12. Tai Chi Chuan als Ganzkörperübung

Die Bewegungen der Tai Chi Chuan Figuren beziehen den gesamten Körper, die inneren wie äußeren Bereiche, die Organe und die Muskulatur in die Übung mit ein. Die dargestellten Prinzipien verlangen ein Anpassen der Extremitäten an den Rumpf. Alle Bereiche des Körpers sind gleichzeitig an einer Bewegung beteiligt.

Der „Klassiker des Tai-Chi Chuan“ bemerkt dazu:
„Sobald man sich bewegt, braucht der Körper Leichtigkeit und Flexibilität; alle Bereiche sind miteinander verbunden. Gibt es ein Oben, so gibt es auch ein Unten. Gibt es ein Vorne, so gibt es auch ein Hinten. Gibt es ein Links, so gibt es auch ein Rechts.“

Auch die „Mentalen Erklärungen“ erinnern daran:
„Denke immer daran: Sobald man sich bewegt, gibt es nichts, das sich nicht bewegt; sobald man ruht, gibt es nichts, das nicht ruht.“

Das ist eine Umschreibung des zehnten Punktes von Chen Weiming, in dem er ein Streben nach Ruhe in der Bewegung fordert.
„Beugen und Strecken entsprechen Schließen und Öffnen.“
Dieser Satz aus dem „Lied von der Form und Funktion“ steht in enger Beziehung zur These von Ruhe und Bewegung. Sobald man sich beugt, schließt und sammelt sich der Körper; dehnt und streckt man sich, so öffnet er sich.

Je vertrauter man mit den Bewegungen wird, desto entscheidender ist, dass sich die Atmung auf natürliche Weise anpasst, „öffnet sich die Gestalt, so sammelt sich der Atem. Sammelt sich die Gestalt, so fließt der Atem aus.“ Die durch Atmung ausgelöste Zirkulation des Chi und das Öffnen und Schließen des Körpers wirken auf diese Weise wechselseitig zusammen.

Beeinträchtigt die körperliche Aktivität die Chi-Bewegung, kommt es nicht zu Kreisförmigkeit und Gleichmäßigkeit. Beeinflusst die Atmung ihrerseits die Körperbewegungen, werden Blut und Chi in ihrer Zirkulation gehindert, und Flexibilität und Flinkheit gehen verloren. Innen und Außen müssen also einander ergänzen und dürfen sich nicht gegenseitig stören.

„Sobald man sich bewegt, braucht der Körper Leichtigkeit und Flexibilität; alle Bereiche sind miteinander verbunden. Gibt es ein Oben, so gibt es auch ein Unten. Gibt es ein Vorne, so gibt es auch ein Hinten. Gibt es ein Links, so gibt es auch ein Rechts.“
Quelle
Song, Z. J., „Tai-Chi Chuan“ – Die Grundlagen“