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Martial Arts vom September 1983In fünf Räumen herrscht eine emsige Arbeitsatmosphäre. Hier findet man verwirklicht, was A. Baklayan selbst einmal über das Kung Fu geschrieben hat, dass es sich dabei um eine „einfache, stabile Kunst“ handelt, „die harte Arbeit und Bescheidenheit verlangt, in ihrem Kern aber tatsächlich begeistern kann“. Unter den Augen Boddhidharmas, des legendären Begründers der Kampfkünste im Kloster der Shaolin, der von der weiß getünchten Wand im Unterrichtsraum blickt, trainieren etwa 30 Schüler unter den Trommelschlägen ihres Sifus schweißtreibend und mit höchster Konzentration die Formen. Es folgen Partnertraining und Waffenformen mit traditionellen chinesischen Schwertern aus dem umfangreichen Waffenarsenal der Schule. Sifu A. Baklayan korrigiert seine Schüler freundlich, aber bestimmt. In Nebenräumen üben sich andere Schüler mit Handschuhen am Sandsack oder mit dem Punching-Ball. Der Besucher fühlt sich in die Zeit der Shaolin zurückversetzt, wenn er den sogenannten Pfostenraum betritt: roter Backsteinfußboden, gedämpftes Licht, eine Reihe traditioneller Holzpuppen an der Längsseite und an der Stirnwand ein etwa 3 x 4 m großes Pfostengerüst, wie man es sonst höchstens einmal in Filmen zu sehen bekommt. Auf 49 etwa 60 cm hohen Pfählen trainieren fortgeschrittene Schüler einzeln oder mit Partnern Standfestigkeit, Gleichgewicht und Koordination der Bewegungen. Das Unterrichtsprogramm hat Sifu A. Baklayan von der Siu Lum Pai Kung Fu Association übernommen, dessen Filiale und deutsches Hauptquartier die Münchner Schule ist.
Wir fragten A.Baklayan, wie er selbst zu seinem Stil, dem Hung Gar Kung Fu gekommen sei. Dazu sagt Sifu A. Baklayan:
„Hung Gar ist ein traditionell überliefertes Kampfkunstsystem. Viele moderne Kampfkunstexperten sind der Auffassung, dass die Shaolin-Techniken sehr wohl respektiert werden müssen, aber eher im historischen Sinne. Was die praktische Anwendbarkeit und die Übermittlung dieses Wissens betrifft, so meinen moderne Kampfkünstler häufig, entgegen dem alten Shaolinstil aufgeschlossener und weiterentwickelter zu sein, auch hinsichtlich der Anwendbarkeit ihrer Methoden im Kampf. So wird dem Hung Gar leicht unterstellt, dass es sich, etwas hart formuliert, um eine veraltete Methode handelt, die zudem wegen ihrer kraftvollen Ausführung im Kampf eher unflexibel macht und zu festgelegten Reaktionen führt.“
Dazu meint Sifu A. Baklayan:
Früher war der Platz der Kampfkünste ganz klar. Im Grunde genommen war es eine Frage des Überlebens, es waren ganz einfach Leute, die aus verschiedenen Gründen in eine wirkliche Kampfsituation gekommen sind und eine effektive Kampfform benötigten, um zu überleben. Hunderte von Jahren haben sich diese Stile im Kampf auf Leben und Tod bewährt. Heute kommen die Leute und lernen ein bisschen von diesem und ein bisschen von jenem und behaupten dann doch tatsächlich, dass sie diese Stile verfeinert und weiterentwickelt hätten.
Ich kann hier nur für das Hung Gar Gung Fu sprechen, aber das gilt für viele der traditionellen Stile, die sich über die Jahrhunderte erhalten haben: Sie mussten sich in tatsächlichen Kampfsituationen beweisen. So haben die Hung Gar Leute früher meist als Leibwächter bei Transporten gearbeitet. Die Schüler unseres Groß-Großmeisters haben noch am Anfang dieses Jahrhunderts den täglichen Kampf auf Leben und Tod auf diese Weise bestehen müssen.
Viele der heute praktizierten Kung Fu Stile sind in den Siu Lum Klöstern entstanden. Die Geschichte des Kung Fu wie von vielen alten Künsten ist unvollständig und in sich widersprüchlich.“
Nach dieser kurzen Einführung beginnen wir in der nächsten Martial Arts mit einem umfassenden Bericht über die Geschichte des Hung Gar und tiefer gehenden Informationen über das Geheimnis der Prinzipien der fünf Tiere.