sein Leben und Wirken
Lam Sai Wing 林世榮 war ein intelligenter, ehrlicher, toleranter und großzügiger Mensch und war bei den Bewohnern Nam Hois der Provinz Kwangtung geachtet. Bereits in jungen Jahren erzählte ihm sein Vater, dass das Land gegenwärtig darnieder lag. Das leidende Volk wagte nicht einmal auf lebenswürdigere Bedingungen zu hoffen, und er sah es als seine Pflicht an, das Leid und den Gram seiner Landsleute zu lindern. Der Weg, dies zu erreichen und seinem Lande zu dienen, war das Kung Fu.
Lam Sai Wing’s Vater wollte ihn Kung Fu lehren. Lam aber sah sich nach einem anderen Lehrer um. Sein Vater war einverstanden und Lam wurde Wu Kam Shing’s Schüler. Über mehrere Jahre hinweg wurde er von Wu unterrichtet und machte rasche Fortschritte.
Der Unterricht wurde abrupt unterbrochen, als Lam, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, in einem Schlachthof zu arbeiten begann. Doch sein Ziel, Kung Fu zu lernen, behielt er stets vor Augen. Es näherte sich das Ende der Ching-Dynastie. Lam war traurig ob der Leiden, die er immer noch mitansehen musste, und angesichts des Wenigen, das er dagegen tun konnte. Angetrieben von seinem brennenden Wunsch, seinen Landsleuten das Leben zu erleichtern, legte er seine Arbeit im Schlachthof nieder und begann erneut nach einem Kung Fu Meister Ausschau zu halten. Er reiste viel, und über die Jahre hinweg folgte er verschiedenen Meistern und blieb schließlich fast zwei Dekaden bei dem berühmten Wong Fei Hung. Danach eröffnete er eine eigene Kung Fu Schule in Canton.
Eigene Kung Fu Schule in Canton nach zwei Dekaden unter dem berühmten Wong Fei Hung.
Eifersüchteleien
Ein weiterer Lehrer namens Fan war eine lokal bekannte Persönlichkeit, die bereits viele mittelmäßige Kämpfer geschlagen hatte. Fan rühmte sich damit, dass niemand außer ihm lehren dürfe. Er forderte Lam zum Waffenkampf heraus, da Lam ebenfalls berühmt für seine Kunst der doppelten Schwertführung war. Nachdem sich Lam der Sicherheit seiner Zuschauer vergewissert hatte, ersetzte er die Schwerter durch zwei Holzscheite. Fan verlor keine Zeit und eröffnete den Angriff mit einem Knüppel. Und ein weiteres Mal war es Lam ob seiner überlegenen Geschicklichkeit möglich, Fan in einem kurzen Kampf zu unterwerfen. Fan war verletzt und Blut rann über sein Gesicht. Er ging zu Wong Fei Hung und bat ihn, seine Wunden zu behandeln. Als Wong die Ursache seiner Verletzungen erfuhr, war er sichtlich stolz auf die Kunst seines Schülers.
Die Unterwerfung des Eisenkopfs
Eines Tages besuchten Wong Fei Hung und Lam Sai Wing das Hoi Tung Kloster. Sie wurden von einem Mönch namens Eisenkopf empfangen, dessen Kopf unzerstörbar zu sein schien, aufgrund einer bemerkenswerten Abhärtung seines Schädels, der zugleich auch seine gefährlichste Waffe darstellte. Eisenkopf konnte seine Neugierde, Lam Sai Wing herauszufordern, nicht zähmen, da Lams Ruhm als großer Kämpfer auch bis zu ihm vorgedrungen war. Wong gab sein Einverständnis, mahnte Lam jedoch, unnötige Verletzungen zu vermeiden. Wie erwartet, machte der Mönch von seinem ungewöhnlichen Vorteil gegenüber Lam Gebrauch. Der Mönch war kein schwerer Gegner für Lam und wurde alsbald zu Boden geworfen. Lam eilte herbei und half dem Mönch, wieder hochzukommen. Eisenkopf war von Lam Sai Wings freundlichem Wesen gerührt und hegte keine feindlichen Gefühle gegen ihn. Wong und Lam beendeten ihren Ausflug in guter Stimmung.
Unerwarteter Ärger
Der Kampf am Lok Sin Theater
Es gibt eine Menge interessanter Anekdoten über Lam Sai Wing und seine Kampfkunst. Eine der vielleicht bekanntesten ist der Zwischenfall am Lok Sin Theater. Canton rühmte sich in dieser Zeit damit, über eine eigene Polizeieinheit zu verfügen, die jedoch alles andere als fähig war. Insbesondere zogen es die Theaterbesitzer vor, selbst für einen Sicherheitsdienst zu sorgen, um einen reibungslosen Ablauf der Aufführungen zu gewährleisten. Lam Sai Wing wurde vom Besitzer des Lok Sin Theaters als Sicherheitswächter eingestellt. Sein Ruf allein war ein ausreichender Grund für alle Raufbrüder, dem Theater fernzubleiben. Eines Tages betrat Lam’s Schüler Chin und einer seiner Freunde das Theater, wie immer ohne Eintritt zu zahlen. Sie wussten jedoch nicht, dass die Besitzer gewechselt hatten. Die Sicherheitstruppe des neuen Besitzers versperrte ihnen den Zutritt, und behandelte die beiden äußerst gewalttätig, bis sie sie endgültig vor die Tür setzten. Ching berichtete Lam von dem Zwischenfall. Lam riet Ching und den anderen Schülern, die Sache zu vergessen und nicht auf Rache zu sinnen, da Ching völlig zu Recht hinausgeworfen wurde, aufgrund des Eintritts, den er nicht bezahlt hatte. Der Sinn des Kung Fu wäre nicht, persönliche Streitereien zu erledigen und dass dieser Zwischenfall Chin’s eigenes Problem sei. Einige Schüler erklärten sich daraufhin bereit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Lam jedoch, in Hinblick auf eine friedliche und endgültige Lösung der Zwistigkeiten sagte, er wolle dem Theater einen Besuch abstatten. Seine gute Absicht wurde von den Theaterleuten jedoch gänzlich missverstanden, da er sich gemeinsam mit seinen Schülern auf den Weg machte. Sie dachten, dass eine Auseinandersetzung bevorstehen würde und bereiteten für Lam und seine Schüler eine Falle vor. Vor dem Eingang zum Theater hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet. Nachdem sich Lam und seine Schüler bereits im Inneren des Theaters befanden, wurden schnellstens alle Ausgänge versperrt. Es war zu spät für Lam, irgendetwas zu tun, sie wurden völlig überraschend eingeschlossen. Die Angreifer kamen von allen Seiten. Sie wurden wie Vögel in einem Käfig festgehalten. Lam gelang es, einem der Angreifer die Waffe zu entreißen, und er schickte sich an, den Kampf seines Lebens zu kämpfen. Es wurde ein langer und erbitterter Kampf. Er und seine Männer waren eindeutig in der Minderheit und es ist Lam’s Courage und seinem Durchhaltevermögen zu verdanken, dass er es schaffte, sich und seine Schüler aus dieser unglücklichen Situation zu befreien.
In einem verzweifelten Moment ergriff Lam einen Stein und zerschmetterte damit die Lampe, dann warf er sich gegen eine Türe, um anschließend in der Menschenmenge, die sich vor dem Theater gebildet hatte, unterzutauchen. Der Kampf, an dem insgesamt mehrere hundert Männer beteiligt waren, hatte schwerwiegende Folgen. Die Zeitungen berichteten, dass über 80 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Lam ging als einziger unverletzt aus dem Gemenge hervor, auch viele seiner Schüler waren übel zugerichtet worden. Lam wurde daraufhin steckbrieflich gesucht und beschloss deshalb, in andere Teile Chinas zu emigrieren.
Im Exil
Bis zur Gründung der Volksrepublik China kehrte Lam nicht mehr in seinen Heimatstaat zurück. Zu Beginn der Republik war Lam als Armeeausbilder tätig. Als er sich bereits in hohem Alter aus dem Berufsleben zurückgezogen hatte, wurde er von den Einwohnern Hong Kongs aufgefordert, sich in der Kolonie niederzulassen und seine Tätigkeit als Kung Fu Lehrer wieder aufzunehmen. (siehe auch: „Schätze der traditionellen Kampfkünste“, Jahrbuch I, II und III)Die Tiger/Kranich-Form wie sie heute überliefert ist, verdanken wir Lam Sai Wing und seinem Meister Wong Fei Hung.
Lam Sai Wing hat drei Hauptformen des Hung Gar in Buchform hinterlassen:
– Gung Ji Fook Fu Kuen (Bändigung des Tigers)
– Fu Hok Sheong Yin Kuen (Weltberühmte Tiger/Kranich-Form; Erkennungszeichen des Hung Gar)
– Tid Sin Kuen (Eiserne Drahtform)